Ludwig Hänsel und seine Bedeutung für Ludwig Wittgenstein

Informationen zum Vortrag von Ilse Somavilla am 25. Nov. 2015 in Hallein, kunstraum pro arte
Ludwig Hänsel wurde am 8.12.1886 in Hallein (Salzburg) geboren. Nach der Matura am Gymnasium in Salzburg studierte er in Graz Germanistik, Romanistik und Philosophie und besuchte auch Vorlesungen über Geschichte, Kunstgeschichte und Indogermanistik. 1910 schloss er sein Studium als Dr.phil. ab und leistete anschließend seinen Militärdienst als Einjährig Freiwilliger in Bozen und in Trient. Ende 1910 legte er die Lehramtsprüfungen aus Deutsch und Französisch ab und begann ab Herbst 1911 als Supplement an verschiedenen Wiener Gymnasien. 1913 wurde er zum wirklichen Lehrer an der Staats-Realschule Wien X ernannt. 1913 heiratete er Anna Sandner. 1914 – 1918 leistete er seinen Kriegsdienst. Vom 18. Nov. 1918 bis zum 20. Aug. 1919 war er in Kriegsgefangenschaft im Lager Cassino.
Von 1920 bis 1929 wirkte er als Professor an der Realschule Wien X, von 1929-1936 als provisorischer Direktor am Privat Mädchen-Realgymnasium des Schulvereins für Beamtentöchter, Wien VIII, von 1936-1938 als Direktor an der Bundeserziehungsanstalt für Mädchen, Wien III.
Vom 14.3.1938 bis 10.9.1939 wurde Hänsel aus politischen Gründen beurlaubt, dann als Oberstudiendirektor in Verwendung eines Studienrates am Realgymnasium für Jungen, Wien XVII, wieder eingestellt. 1941-1945 wurde er als Oberleutnant, Hauptmann und Major d.R. bei der Luftwaffe in Wiener Neustadt und Wien eingesetzt, ab Herbst 1944 bei einer Fallschirmdivision in Italien, wo er 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Ab Herbst 1946 bis Ende 1951 war er wieder als Direktor an der Realschule in Wien X tätig. 1950 wurde ihm der Titel Hofrat verliehen. Nach seiner Pensionierung Ende 1951 übernahm er einen Lehrauftrag an der Universität Wien mit dem Titel Besondere Unterrichtslehre, Philosophie.
Ludwig Hänsel war Mitglied von zahlreichen Organisationen und Vereinen, u. a. der Wiener Katholischen Akademie, der Wiener Philosophischen Gesellschaft, des Pädagogischen Rats der Mittelschullehrer Österreichs, des Österr. Neuphilologen-Verbands, der Vereinigung christlicher Mittelschullehrer; er war Vizepräsident der Österr. UNESCO-Kommission, Leiter des Österreichischen Komitees für Geschichtsunterricht und des Österreichischen Komitees für Philosophie und Geistesgeschichte, längere Zeit Obmann des Wiener-Goethevereins, Vorstandsmitglied der Goethegesellschaft in Weimar und Vorsitzender der Ferdinand-Ebner-Gesellschaft.
Ab 1920 hielt Hänsel zahlreiche Vorträge in Wien, Innsbruck, Salzburg (Salzburger Hochschulwochen), Linz, Gmunden, Mödling, Baden, Bruck a.d. Mur, Graz, Klagenfurt. 1952 nahm er in Paris an der Generalversammlung der UNESCO und am Pädagogischen Kongress Erziehung und seelische Gesundheit teil, 1955 in Venedig am Kongress Erziehung zur internationalen Gesinnung (Sens international), veranstaltet vom Bureau international catholique de l’Enfance, 1956 in Paris an der UNESCO-Expertentagung Asiatische Kulturen in den westlichen Schulen.
Gemeinsam mit Michael Pfliegler gab Hänsel Schriften von Ferdinand Ebner heraus und schrieb mehrere Bücher (u.a. Begegnungen und Auseinandersetzungen mit Denkern und Dichtern der Neuzeit, 1957) sowie an die 200 Artikel und Rezensionen.
Ludwig Hänsel starb am 8.9.1959 in Wien.
Ludwig Hänsel zählte zu den wenigen Freunden Wittgensteins, denen dieser bis zu seinem Tode verbunden blieb. Die beiden lernten einander im Februar 1919 während der Zeit der gemeinsamen Kriegsgefangenschaft bei Monte Cassino kennen, worüber Hänsel in seinen Tagebüchern ausführlich berichtet: Über die erste Begegnung, die miteinander geführten Gespräche über philosophische, literarische und religiöse Themen, die teils gemeinsamen Ansichten, oft aber auch heftigen Kontroversen. Aus diesen, von Hänsel schriftlich festgehaltenen Diskussionen, sind Wittgensteins Einschätzung von Werken Augustinus´, Tolstois, Dostojewskis und anderer zu erfahren, verbunden mit seiner Auffassung von Philosophie, Ethik und Religion. Es war Hänsel, der Wittgenstein in manche Werke der Weltliteratur einführte, die dieser damals noch nicht gelesen hatte und worüber er in der Folge mit Hänsel diskutierte. So wird auch bestätigt, dass Wittgenstein sich mit Kants Kritik der reinen Vernunft – aller Wahrscheinlichkeit nach auf Anregung von Hänsel – auseinandergesetzt hat. Wittgenstein wiederum machte Hänsel mit seinen Gedanken der Logisch-Philosophischen Abhandlung vertraut, von der er das zu der Zeit noch nicht publizierte Manuskript mit sich führte, an dem er während des Ersten Weltkriegs gearbeitet hatte.
Wittgenstein befand sich damals vor einer entscheidenden Wende in seinem Leben – einer Wende, die zu einem Umdenken und Neubeginn führen sollte, dies nicht nur in persönlicher, sondern auch in philosophischer Hinsicht. Wie vielen bekannt, führte diese Periode der “Veränderung” zu seinem Entschluss, anstelle einer Laufbahn innerhalb der akademischen Philosophie ein einfaches, arbeitsames Leben zu führen. Bei seinen Überlegungen, ob er ins Kloster gehen oder als Volksschullehrer arbeiten sollte, nahm Hänsel regen Anteil und berichtet in seinen Tagebüchern darüber.

Als Wittgenstein sich zum Beruf eines Volksschullehrers auf dem Lande entschloss und nach der Rückkehr nach Wien dort die Lehrerbildungsanstalt besuchte, fand die Freundschaft mit dem ebenfalls in Wien lebenden Hänsel eine Fortsetzung. Die beiden besuchten einander regelmäßig, auch als Wittgenstein nach der abgeschlossenen Ausbildung zum Lehrer für mehrere Jahre in kleinen Dörfern in Niederösterreich südlich von Wien unterrichtete. Zeitweise wohnte Wittgenstein sogar bei der Familie Hänsel in der Kriehubergasse.
Abgesehen von Hänsels Tagebüchern sind zahlreiche Briefe der beiden Freunde erhalten, ein letzter von Wittgenstein an Hänsel vom 1.2.1951, also wenige Monate vor seinem Tod am 29. April.
Die Konfrontation der zwei verschiedenen Geister, die sich u.a. in der gänzlich unterschiedlichen Lebensweise und Lebensaufgabe, insbesondere auch in Wittgensteins Hang zur Mystik und zum tolstojanischen Christentum gegenüber Hänsels Katholizismus zeigt, macht das Spannende in dieser Freundschaft aus. Hänsel schreibt, er habe durch Wittgenstein an Klarheit gewonnen und eine Hebung des Gesichtspunktes erfahren. Ebenso aber scheint er seinem Freund in wesentlichen Dingen Impulse gegeben zu haben, sowie in schwierigen Lebenssituationen und Entscheidungen als verständnisvoller Berater zur Seite gestanden zu sein.

Ilse Somavilla