Wittgensteins lebenslange Zuneigung zu den Künsten äußerte sich auf vielfältige Weise: Nachdem er 1913 nach dem Tod seines Vaters, ein ungemein reiches Erbe hatte antreten können und dessen Mäzenatentum weiterführen wollte, übergab er Teile davon – immerhin 100.000 Kronen (etwa EUR 500.000) – dem Herausgeber der in Innsbruck erscheinenden jungen Zeitschrift „Der Brenner“ (seit 1910), Ludwig von Ficker (1880–1967), mit der Bitte, diesen immensen Betrag anonym an herausragende zeitgenössische Dichter zu verteilen. Ficker entschied sich u. a. für Georg Trakl, Rainer Maria Rilke, Carl Dallago, Oskar Kokoschka, Else Lasker-Schüler, Adolf Loos und Theodor Däubler. Wittgenstein wollte Trakl sogar noch an der Ost-Front besuchen, aber kam zu spät: Trakl war schon verstorben.
Intensiv und wegweisend beteiligte sich Wittgenstein ab 1926 auch an der architektonischen Gestaltung des neuen Wittgenstein-Hauses in der Kundmanngasse/Wien, das seine Schwester Gretl in Auftrag gegeben hatte. Er modellierte Plastiken, er musizierte und hielt als Professor für Philosophie in Cambridge Debatten über Fragen und Probleme der Ästhetik ab (1940) – mitten im Krieg.
„O, warum ist mir zumute, als schrieb ich ein Gedicht, wenn ich Philosophie schreibe?“ heißt es in einem Typoskript aus 1943/44 und schon 1931 notiert er – in berechtigtem Zweifel an den Möglichkeiten traditionellen philosophischen Sprachgebrauchs, metaphysischer Methoden und in Bewunderung der Sprache der Musik: „Es gibt Probleme, an die ich nie herankomme, die nicht […] in meiner Welt liegen. Probleme der Abendländischen Gedankenwelt, an die Beethoven (und vielleicht teilweise Goethe) herangekommen ist und mit denen er gerungen hat, die aber kein Philosoph je angegangen hat (vielleicht ist Nietzsche an ihnen vorbeigekommen).“ Womöglich haben ihm hier auch die Erinnerungen an Trakl, Rilke, Kokoschka oder Lasker-Schüler die Feder geführt. Jedenfalls hat Wittgenstein seit seinem „Prototractatus“ immer wieder zu Fragen und Problemen der Musik publiziert. Die geistigen Prägungen für sprach- und formbewusste Dichterinnen und Dichter sind jedenfalls immens: Keine Texte etwa der Ingeborg Bachmann ohne die Erfahrung Wittgenstein und keine sprachthematisierende und -experimentierende Literatur ohne die fundamentale Sprachtheorie Wittgensteins.
Ludwig Wittgensteins Erkenntnis der Zeichen- und „Sprachspiele“ der Wissenschaften mündete in seinen späten „Philosophischen Untersuchungen“ in die fundamentale Würdigung der Künste, und zwar als jeweils spezifische „Sprachspiele“. Diese verstand er als Ausdruck von „Lebensformen“, in denen Worte, Begriffe, Zeichenfolgen und Sätze ihre jeweiligen, nicht-fixierten Bedeutungen durch die in den unterschiedlichen kommunikativen Gebrauchssituationen geltenden Regeln erhalten.
vgl. u.a. Jacques Bouveresse: Poesie und Prosa: Wittgenstein über Wissenschaft, Ethik und Ästhetik. Berlin: Parerga 1994.