Ingeborg Bachmann über Ludwig Wittgenstein

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„Als vor zwei Jahren Ludwig Wittgenstein in Cambridge starb, erschien in einigen Wiener Blättern eine kurze Notiz: ,Im Alter von ... verschied in ... der bekannte Philosoph.. .’ Nun, er war keineswegs bekannt; er war eigentlich der unbekannteste Philosoph unserer Zeit, ein Mann, auf den ein Wort seines Landsmannes Karl Kraus zutrifft, der von sich einmal sagte: ,Ich bin berühmt, aber es hat sich noch nicht herumgesprochen’.“ (Ingeborg Bachmann: Zu einem Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte. In: Frankfurter Hefte 1953, Heft 7)

„Im Wiener Kreis hat man sich […] darauf beschränkt, sich an das augenfällige Motto des Tractatus zu halten: ,... und alles, was man weiß, nicht bloß rauschen und brausen gehört hat, läßt sich in drei Worten sagen.’ Die logische Analyse der Sprache wurde vervollkommnet, einem ,Einheitssystem der wissenschaftlichen Erkenntnis’ vorgearbeitet, einer Universalsprache, wie sie schon Leibniz anstrebte, in die alle wissenschaftlichen Teilsprachen übersetzbar sein sollen. Durch eine enge Zusammenarbeit mit der modernen Mathematik und Physik wurde eine Lücke im philosophischen Denken unserer Zeit, geschlossen. […] ,Gott offenbart sich nicht in der Welt’ (6. 432) Ist einer der bittersten Sätze des Tractatus. Aber läßt Wittgenstein uns nicht wissen, daß die sittliche Form, die wie die logische nicht darstellbar ist, sich zeigt und Wirklichkeit ist? ,Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen’, sagt er am Ende und meint eben diese Wirklichkeit, von der wir uns kein Bild machen können und dürfen. Oder folgerte er auch, daß wir mit unserer Sprache verspielt haben, weil sie kein Wort enthält, auf das es ankäme?“ (Ingeborg Bachmann: Zu einem Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte. In: Frankfurter Hefte 1953, Heft 7)

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